Krafttraining mit Verletzung
Das richtige Mindset
Ich habe mir bei einem Fußballspiel die Schulter ausgekugelt. Nachdem das Adrenalin etwas abgeklungen war, war es nicht der körperliche Schmerz, der mir zu schaffen machte. Tausende Gedanken gingen mir im Krankenwagen durch den Kopf. Ich kann jetzt meiner Mannschaft nicht auf dem Platz weiterhelfen, vorerst keinen Oberkörper trainieren und werde in meiner Arbeit stark eingeschränkt sein. Viele geplante Aktivitäten werden schwierig oder gar nicht möglich sein. Es ist okay, solche Gedanken zu haben. Meistens läuft nicht alles nach Plan, und das ist nicht schlimm. Ich musste im Krankenhaus lange warten und hatte viel Zeit, um nachzudenken, mich mit meinen Gedanken auseinanderzusetzen und sie wieder zu ordnen. Es ist unmöglich, alles kontrollieren zu können, aber wir sollten uns darauf konzentrieren, was in unserem Ermessensspielraum liegt. Egal, was uns aus der Bahn wirft, ein Fokus auf das, was wir tun können, ist für unsere Psyche gesünder und für das Erreichen unserer Ziele deutlich nachhaltiger als sich darauf zu konzentrieren, was wir nicht machen können. Einschränkungen in den Möglichkeiten, die wir haben, geben uns einen klareren Weg vor, der uns zuversichtlicher machen sollte und uns glücklicher macht, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Noch bevor meine Schulter wieder an Ort und Stelle war, hatte ich einen neuen Gameplan, und mein Fokus lag viel mehr auf den Dingen, die keine gesunde Schulter voraussetzen. Genauso sollte es auch im Fitnessstudio sein, wenn uns Verletzungen einschränken. Ein „Alles oder nichts“-Denken ist fehl am Platz. Es ist wichtig, die Gewohnheit aufrechtzuerhalten, aktiv zu bleiben und sich nicht in Selbstmitleid und Frustration zu verlieren. Konzentration auf die Muskeln, die trainiert werden können – bei ca. 650 im menschlichen Körper sind das bei Verletzungen, die nicht jegliche Aktivität ausschließen, noch einige, die wir effektiv trainieren können. Natürlich sollte medizinischer Rat ernst genommen werden, und man sollte nur Bewegungen ausführen, von denen der behandelnde Arzt nicht abrät. Im Folgenden gehe ich verschiedene Optionen ein, wie man trotz einschränkender Verletzung ein Training planen kann.
Werde Kreativ
Zuerst die offensichtlichen Sachen: Mit einer kaputten Schulter kann ich sehr wahrscheinlich immer noch den Unterkörper trainieren. Mit einem kaputten Knie oder Sprunggelenk wird wahrscheinlich ein Oberkörperworkout noch möglich sein. Hier fallen jedoch schon einige Optionen weg. Ein Langhantel-Squat wäre mit meiner Schulter unmöglich umzusetzen, aber Maschinenoptionen oder das Beugen mit einer Safetybar sind fast uneingeschränkt möglich. Wenn ich nur freie Gewichte zur Verfügung habe, wären Bulgariansplitsquats, Landmine Squats, Goblet Squats oder auch Hip Thrust Variationen möglich, um die Squatting-Bewegung zu ersetzen. Bei Verletzungen im Unterkörper fallen in der Regel stehende Variationen weg, aber sitzende oder liegende Variationen sind mit leichten Anpassungen fast uneingeschränkt möglich. Zum Beispiel kannst du beim Bankdrücken deine Beine auf die Bank stellen oder legen und ohne Leg Drive arbeiten. Hier ist Kreativität gefragt. Bei Handgelenksverletzungen oder -schmerzen kannst du Arme und Schultern problemlos mit Handgelenksschlaufen trainieren. Oft kann auch das Experimentieren mit Griffbreiten hier hilfreich sein. Bei Verletzungen im Sprunggelenk und der Hüfte kannst du die Oberschenkelmuskulatur noch gut mit Isolationsübungen wie Beinstrecker und Beinbeuger trainieren. Bei Knieverletzungen kannst du oft noch den Beinbeuger (mit) durch Hüftstreckung (RDL, Hip Thrusts) und den Beinstrecker durch Hüftbeugung (Leg/Knee Raise) trainieren. Ähnlich kannst du bei Ellbogenverletzungen noch Brust (Chest Flies) und Rücken (Lat Prayer, Reverse Butterfly) mit gestreckten Ellenbogen trainieren. Manche Maschinen lassen sich bei bestimmten Verletzungen schwierig nutzen oder festhalten. In solchen Fällen können Widerstandsbänder eingesetzt werden, um sich ohne Veränderung der Position zu fixieren. Es ist sehr wichtig, alle Variationen zuerst mit keinem oder sehr wenig Gewicht zu testen und sich langsam an ein Arbeitsgewicht heranzutasten. Falls Schmerzen in der Nähe der Verletzung auftreten, sollte das Training der Übung umgehend gestoppt werden. Es geht nicht darum, irgendwelche Übungen mit Ach und Krach zu erzwingen, sondern abzuschätzen, welche Übungsvariationen ohne Risiko möglich sind.
Training ist nicht Alles
Falls du so stark eingeschränkt bist, dass du gar nicht trainieren kannst, ist das auch eine großartige Möglichkeit, sich mit anderen Dingen im Leben zu beschäftigen. Gerade die eigene mentale Fitness kann hier im Vordergrund stehen. Diese kann auf unterschiedliche Art und Weise verbessert werden. Verbringe mehr Zeit mit Freunden und Familie, lies ein gutes Buch, erweitere deine Grenzen in sozialen Situationen oder verbessere dich in anderen Fähigkeiten. Kein Training bedeutet auch mehr freie Zeit. Deine eigene Identität sollte nicht nur von einem Wert wie Krafttraining und Fitness abhängig sein. Jetzt ist es an der Zeit herauszufinden, was du zusätzlich wertschätzt und wie andere Leidenschaften von dir dich ausmachen. Oft vernachlässigt man in solchen Situationen die Ernährung. Es ist jedoch wichtig, die Ernährung an die geringere Aktivität anzupassen und dennoch eine eiweißreiche Ernährung beizubehalten, um unnötige Fettzunahme zu vermeiden und den Muskelabbau zu minimieren. Dies erleichtert den Wiedereinstieg ins Training und dann wirst du noch dankbarer und fokussierter sein.